Ein Waldgarten auf dem Balkon?
Denkst du an Waldgärten, hast du vielleicht zuerst den typischen Hausgarten der inneren Tropen vor Augen. Dicht an dicht und Schicht über Schicht bilden dort Nutzpflanzen, Zierpflanzen und Wildpflanzen einen dschungelartigen Garten – und spiegeln so die Natur vor Ort wieder.
Wer in unseren Breitengraden einen Waldgarten anlegt, merkt schnell, dass das Konzept nicht 1:1 übertragbar ist. Temperatur, Niederschlagsmenge, Sonnenscheindauer und Lichteinfallwinkel, Wind ändern sich über den Jahresverlauf stark. Diese Faktoren spielen bei der Planung eines Waldgartens neben Nährstoffbedarf, Lichtbedarf und Zeitbedarf zwischen Aussaat und Ernte eine Rolle.
Und so etwas Komplexes soll auch auf einer Minifläche funktionieren? – Ja, das tut es! Ein Waldgarten funktioniert auf Balkonen und Terrassen, in winzigen Vorgärten und sogar auf der Fensterbank.
„Jaaaaa, aaaber…“, wirst du sagen. „Die hohe Baumschicht passt doch nicht auf meinen Balkon!“ Sicher – du wirst keinen Walnussbaum und keine Eiche im Topf pflanzen. Die hohe Baumschicht wird sich nicht umsetzen lassen. Aber ist zum Beispiel eine Streuobstwiese mit Halbstämmen, Kräuter-, Gemüse- und Blumenbeeten dazwischen und einem berankten Zaun rundum schon kein Waldgarten mehr, weil die hohe Baumschicht fehlt?
Dort wo der Platz begrenzt ist, kann dennoch noch immer das Prinzip der Schichtung angewandt werden. Dir bleiben damit noch immer 6 mögliche Schichten.
Was braucht du dafür?
© Reinhard Engelhart | Schichten im Waldgarten
Im Vorgarten hast du das Glück, auf offenen Gartenboden zu treffen. Bei Balkon, Terrasse und Fensterbrett musst du mit Gefäßen arbeiten. Statt vielen kleinen Töpfen, macht es Sinn, möglichst große Gefäße zu verwenden. Das bietet den Pflanzen mehr Wurzelraum und erlaubt so nicht nur größere Pflanzen anzusiedeln, sondern auch Pflanzengilden zu bilden, die sich gegenseitig ergänzen oder unterstützen. Außerdem sind große Gefäße ökologischer und ökonomischer. Große Erdmengen halten die Feuchtigkeit länger, du sparst Wasser und Zeit, weil du nicht so oft gießen musst. Zudem kannst du einfach mulchen oder Lebendmulch pflanzen, und so noch mehr Wasser sparen. Damit hast du übrigens schon das Schichtprinzip umgesetzt!
Übrigens musst du bei großen Gefäßen auch die Pflanzerde nicht immer wieder austauschen. Es reicht, wenn du einen kleinen Teil durch neue Erde und Kompost ersetzt und regelmäßig düngst. So kann sich auch in deinen Containern ein gesundes Bodenleben entwickeln. Wenn du jetzt noch Rollen unter deine Gefäße montierst, oder sie auf Pflanzenroller stellst, bleibst du auch mit großvolumigen Töpfen flexibel und kannst deine Fläche leicht sauberhalten.
Für deinen Pflanzplan überlege dir zuerst, was du dir wünschst: Einen Liegeplatz zum Sonnenbaden? Ein geschütztes Plätzchen, um Insekten und Vögel zu beobachten? Sichtschutz vor neugierigen Nachbarn? Frische Kräuter für die Küche? Naschobst für die Kinder? Ein Refugium für heimische Wildpflanzen? Temperaturausgleich für die Wohnung? Wenn du deine persönlichen Ziele klar formulierst, weißt du, wieviel Platz du dafür reservieren musst und wie viel Spielraum dir für die Bepflanzung bleibt.
Dann geht es an die Einflussfaktoren (Sektoren in Permakultur-Sprech). Wie viel Licht bekommt deine Fläche? Die Himmelsrichtung allein sagt noch nicht viel. Ein Nordbalkon im 5. Stock ist unter Umständen sonniger, als ein überdachter Südbalkon in der ersten Etage, insbesondere, wenn weitere hohe Gebäude in der Nähe sind. Frag also nicht nur, woher die Sonne kommt, sondern auch: wann und wie lange ist sie da? Wo ist es vollsonnig, stundenweise sonnig oder wo ist immer tiefer Schatten? Wo ist es sehr trocken? Wo bleibt es lange oder sogar immer feucht? (Das siehst du z.B. daran, wo sich ein grünlicher Belag bildet.) Welche Stelle bekommt besonders viel Regen ab? Musst du zu manchen Zeiten deine Pflanzen sogar vor dem Ertrinken retten? (Dann kannst du über Sumpfbeete oder einen Miniteich nachdenken. Es gibt auch dafür sogar essbare Pflanzen!) Bläst der Wind heftig um deine Fläche? Das trocknet stark aus, so dass mit – windfestem (!) – Mulch arbeiten solltest, um nicht ständig gießen zu müssen. Oder du entscheidest dich für Trockenheitskünstler, wie sie für Steingärten und Dachbegrünungen passen. Und ja – auch da gibt es essbare Pflanzen! Du wirst feststellen: gerade auf Miniflächen gibt es eine Vielzahl von Klimazonen. Nutze sie!
Gibt es sonst noch etwas, das dir wichtig ist? Stört es dich z.B., dass deine Nachbarn direkte Sicht auf deinen Frühstückstisch haben? Dann hast du schon einen Idee, wo Bäumchen, Sträucher oder große Stauden als Sichtschutz einen guten Platz finden.
Beginne deine Planung mit der niedrigen Baumschicht und Strauchschicht. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von kübelgeeigneten Zwerg- und Säulenobstbäumen. Wärmebedürftige Pflanzen profitieren von der Abwärme des Gebäudes, so dass du hier wagen kannst, was im Freiland nicht gedeihen würde. Ausgehend von deinen großen Pflanzen plane ins Detail. Was wünschst du dir als Krautschicht? Vielleicht Pflücksalat, der in direkter Sonne sowieso schnell welk wird und sich im lichten Schatten wohler fühlt? Walderdbeeren, die du als Bodendecker zu Beerensträuchern gibst, die sich als ursprüngliche Waldbewohner über „bedeckte Füße“ freuen?. Oder Gundermann als kriechenden und rankenden Lebendmulch, der dir nicht nur Gießarbeit spart und Insekten Nektar spendet, sondern dir fast ganzjährig pikante Blättchen als Salatbeigabe schenkt.
© Heike Maresch | Brunnenkresse, Bachbunge und Mädesüß in einem Waschschüssel-Miniteich
Auf kleinen Flächen zählt jeder cm² – denke dreidimensional! Wein und Kiwi klettern z.B. an Rankhilfen hoch und wenn du eine Pergola baust, spenden sie dir neben Früchten auch noch Schatten. Rankenden Kapuzinerkresse sorgt für Farbe – sie schützt als „Läusesammlerin“ aber auch deine anderen Pflanzen – und sowohl ihre Blätter, als auch ihre Blüten, Blütenknospen und Samen sind essbar! Dazu lockt sie Bestäuber an. Bohnen, Gurken, Kürbis, Melonen – alles lässt sich in der Vertikale anbauen. Denke dabei nicht nur auf- sondern auch abwärts. Es gibt z.B. Tomaten, Erdbeeren, verschiedene Kräuter uvm. mit überhängendem Wuchs.
© Heike Maresch Dreidimensionales Gärtnern im 5. Stock
© Heike Maresch | Gärtnern mit Sperrmüll- und Flohmarktfunden
Werde kreativ und schau mal im Keller und auf dem Dachboden nach alten Möbeln und Kisten, die „zu schade zum Wegwerfen“ sind. So kannst du verschiedene Pflanzebenen zusammenstellen.
Mit ausreichend tiefen Gefäßen kannst du auch die Wurzelschicht einplanen. Manchmal, wie beim sehr ausbreitungsfreudigen Topinambur, ist das sogar ratsam. Der kommt übrigens immer wieder und wird hoch genug, um als Sicht- und Windschutz für dich in Einsatz zu gehen. Radieschen und runde Möhrchen gehen auch in Balkonkästen und Kartoffeln in großen Töpfen.
© Heike Maresch | Junger Rebstock mit Walderdbeere, Gundermann, Ehrenpreis und wild aufgegangenen Pflanzen im gemeinsamen Topf
In die allerdunkelste Ecke kannst du zwar Gießkanne und Kleinwerkzeug verbannen – aber auch ausgeprägte Schattenliebhaber pflanzen, wie z.B. Hosta (die anderswo auf der Welt als Gemüse gelten) oder Ruprechtskraut, das selbst in den allerschattigsten Ecke noch blüht.
Saatgut- und Pflanzkataloge machen zu jeder Pflanze Angaben über Licht-, Nährstoff-, Wasser- und Platzbedarf und Wuchshöhe. Suche deine Lieblingspflanzen aus und spiele mit den Möglichkeiten! Überlege, mehrjährige Pflanzen zu nehmen. Das macht nicht nur weniger Arbeit – welke Stängel und Blütenstände sorgen auch im Winter optisch für Struktur und bieten Insekten und Vögeln Nahrung und Unterschlupf.
Übrigens – auch auf kleinen Flächen darf es „wild“ sein. Brennnesseln für deinen grünen Smoothie und für Schmetterlingsraupen? Wilde Karde als Ganzjahresschmuck und Körner für Buchfinken? Löwenzahn als Nektarquelle – und für deinen Salat? Einjährige Salatkräuter wie Postelein, Rucola oder auch Asiasalate säen sich immer wieder selbst aus.
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