Andine Agroforstwirtschaft

Ein Gastbeitrag von Dipl.-Ing. Dr. Noemi Stadler-Kaulich

Foto1: Gelände von Mollesnejta 1998

Die Klimaveränderungen sind in bestimmten Regionen besonders stark spürbar. Dazu gehören auch die Anden in Südamerika. Dort, auf 1.500 bis über 4.000 Meter Höhe, bei mindestens sieben Monaten Trockenzeit und Temperaturen, deren Unterschiede zwischen Tag und Nacht höher sind als von Winter auf Sommer, sind die Berge hoch und die Täler tief. Die Ackerflächen dazwischen liegen am Hang und sind demzufolge stark von Abtragung bedroht. Starkregenereignisse, trockene Fallwinde, die unkritische Anwendung synthetischer Agrarhilfsmittel gefährden die Bodenfruchtbarkeit, seinen Humusgehalt und Wasseraufnahmefähigkeit, genauso wie die Artendiversität. Die Produktivität der Landwirtschaft ist in Gefahr.

Agroforst als erfolgreiche Alternative

Um dauerhaft ein ökologisch stabiles Vegetationssystem mit ausreichender Lebensmittelversorgung zu erreichen, sind der Einsatz von Bäumen und Sträuchern in dieser Gegend besonders sinnvoll. Dadurch können vielfältige, positive Effekte in einer äußerst sensiblen Region erzielt werden:

  • Verminderung der Erosion durch Wasser, insbesondere an den Hängen
  • Verminderung der Erosion und der Bodentrocknung durch den Wind
  • Halbschatten der Gehölze bietet Schutz vor der starken Höhensonneneinstrahlung
  • Baumwipfel zerstäuben große Regentropfen und dämpfen den Aufprall von Hagel
  • Baum- und Strauchwurzeln lockern die Erde -> Wasser kann versickern
  • Biomasse abgestorbener Wurzelmasse und ihrer Symbionten erhöhen den Bodenhumusanteil
  • Dauervegetation bietet den Bodenorganismen einen Rückzugsort, aus dem sie immer wieder auf die Ackerfläche ausstrahlen können
  • Dauervegetation offeriert den Nutzinsekten, Vögeln und Fledermäusen ein Habitat
  • Auf Höhenlinie gepflanzte Büsche und Bäume führen mit der Zeit zu Terrassen
Foto 2: Derselbe Blick wie auf Foto 1
nach 8 Jahren „dynamischem Agroforst“

MOLLESNEJTA – Institut für Andine Agroforstwirtschaft

In MOLLESNEJTA – Institut für Andine Agroforstwirtschaft, rund 25 km entfernt von der Großstadt Cochabamba im gleichnamigen Department im Herzen von Bolivien wird seit der Jahrhundertwende die Agroforstwirtschaft in unterschiedlichen Konsortien, d.h. Pflanzenzusammenstellungen erforscht. Mollesnejta – Instituto de Agroforesteria Andina. Dabei geht es an erster Stelle um die Bodenregeneration. Hanglagen und ein über Jahre hinweg übermäßiger Weidedruck hatten zu einer starken Bodenerosion geführt (Siehe Foto 1).

An zweiter Stelle steht das Ziel über die Artendiversität und einen gesunden, lebendigen Boden die Resilienz der Anbaukulturen zu stärken, um eine Alternative zum unkritischen Einsatz synthetischer Agrarhilfsmittel aufzuzeigen. Es sind überwiegend Substanzen, die aufgrund ihrer Toxizität und dem langjährigen Verbleib im Boden die Bodendegradation verschlimmern und über das Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird und die Nahrungsmittel auch die menschliche Gesundheit gefährden.

Forschungsergebnisse für extreme landwirtschaftliche Bedingungen

Die agroforstliche Forschung unter extremen landwirtschaftlichen Bedingungen haben zu einigen Ergebnissen geführt, die auch für andere Weltregionen gültig sind, genauso wie das Prinzip von Dynamischem Agroforst überall denselben Regeln unterliegt:
  • Dynamischer Agroforst beruht auf dem natürlichen Prinzip der Sukzession, wobei die einzelnen Pflanzen auf einer vormals vegetationslosen Fläche in einer bestimmten Reihenfolge aufeinanderfolgen, die den Standort mit der Zeit immer fruchtbarer werden lässt, indem die jeweils abgestorbene Biomasse zu humusreicher Erde umgebaut wird.
  • Bei der Implementierung einer solchen produktiven Fläche wird die Zeitspanne der Sukzession abgekürzt, indem alle Gewächse möglichst gleichzeitig ausgepflanzt und ausgesät werden. Diese Diversität führt zu einem lebhaften Wachstum, denn:
    • In einem artenreichen Konsortium kann kein auf eine spezielle Pflanzenart spezialisierter Schädling (die Schädlinge sind i.d.R. spezialisiert) einen Schaden verursachen.
    • Viele Pflanzen haben besondere Qualitäten, mit denen sie die Bodenfruchtbarkeit an ihrem Standort verbessern. Die Leguminosen erreichen mit ihren Knöllchenbakterien eine Stickstoffanreicherung im Boden. Die Pflanzen mit Wurzelpilzen werden von ihren Symbionten mit Phosphor, Stickstoff, Lipiden u.a. versorgt. Die energiereichen Zuckerstoffe, die alle Pflanzen zu etwa einem Drittel ihrer täglichen Assimilate über die Wurzeln in die Erde schicken, um dort die Bodenorganismen zu unterstützen, fördern den Abbau abgestorbener Biomasse und deren Aufbau zu Humus.
    • Die unterschiedlichen Bodenorganismen, die jeweils bestimmte Vegetationsarten begleiten, versorgen die Pflanzen neben essenziellen Nährstoffen auch mit weiteren Substanzen, die deren Resilienz gegenüber Schädlingen und Krankheiten erhöhen.
    • Einige Gewächse im Konsortium haben eine repellente, d.h. abschreckende Wirkung auf mögliche Schädlinge.

Dichte Bepflanzung zu Beginn führt zu einer rascheren Etablierung des Systems

Die Synergie der Artenvielfalt in einer Dynamischen Agroforstparzelle, die gleichfalls das lebhafte Wachstum unterstützt, wird über die Dichte erreicht, mit der die unterschiedlichen Arten von Pflanzen gesetzt oder gesät werden. Es ist einfach zu verstehen, dass unterschiedliche Pflanzen, wenn sie weit auseinander gesät oder gepflanzt sind aufgrund der Distanz erst spät die Gelegenheit erhalten über die Wurzeln zu „kommunizieren“. Bei einer dichten Bepflanzung ist diese Verflechtung der Wurzeln von Beginn an möglich. Denn unterschiedliche Pflanzenarten haben

  • Unterschiedliche Wurzeltiefen, weshalb sie verschiedene Bodenschichten bewurzeln.
  • Unterschiedliche Bedürfnisse, weshalb sie NICHT um dieselben Nährstoffe in derselben Intensität konkurrieren. Im Gegenteil weisen Untersuchungen in Mollesnejta (Thesis von Andrea Bolaños Angulo: Evaluación de la influencia potencial de tres especies: Opuntia ficus-indica, Dodonaea Viscosa y Schinus molle sobre las propiedades edáficas dentro de un sistema agroforestal en Combuyo-Vinto, 2014, Universidad Católica Boliviana) darauf hin, dass bestimmte tiefwurzelnden Gehölze in der Lage sind die Trockenzeit mit Grundwasser zu überdauern und dabei über ihre Oberflächenwurzeln Feuchtigkeit an den Oberboden abgeben, der den nahestehenden Pflanzen zugutekommt (Wasserpumpeffekt).
  • Andere Pflanzen wiederum sind in der Lage Wasser in ihrem Körper zu speichern, wie z.B. die Opuntia ficus-indica. Deren Früchte (Kaktusfeige) und „Elefantenohren“ (Triebabschnitte) sind essbar und können auch als Viehfutter verwendet werden, die Blüten sind eine gute Bienenweide und sie überstehen ein Feuerereignis fast unbeschadet. Bei Bodentrockenheit gibt diese Pflanze Feuchtigkeit über ihre oberflächlichen Wurzeln an den Boden ab (siehe Thesis von Andrea Bolaños Angulo).
  • Der Boden ist wegen der zahlreichen Vegetation über das ganze Jahr bedeckt, vor Abtrag geschützt, wird intensiv gelockert und deshalb reichhaltig belebt.

Foto 3: Beispielhafte Dynamische Agroforst-Parzelle in den Anden, mit Obstgehölzen (Malus domesticus, Cydonia oblonga, Opuntia ficus-indica, Morus nigra), Permaveggies (Brassica oleracea var. ramosa, Capsicum cardenasii, Calendula officinalis) und Begleitbaumarten (Jacarandá mimosifolia, Schinus molle, Zanthoxylum coco, Chamaecytisus proliferus var. palmensis u.a.m.). Die Aufnahme stammt aus der Trockenzeit ohne einjährige Kulturen in den Zwischenräumen, eine dicke Mulchschicht bedeckt den Boden.

Von der Natur lernen – mit der Natur arbeiten

Die Implementierung einer Dynamischen Agroforstparzelle ist aufgrund der Artenvielfalt und Pflanz-u. Saatdichte etwas knifflig. Der Aufwand lohnt sich jedoch vor allem dort, wo der Boden degradiert ist, und dieser regenerieren soll, allerdings aus Mangel an produktiver Fläche gleichzeitig mit der Bodenregeneration eine Produktion erwünscht ist.
Daraus leitet sich ein wesentlicher Grundsatz des Dynamischen Agroforst ab. Er macht sich die Kräfte der Natur zunutze: „Von der Natur lernen – mit der Natur arbeiten“.

Übrigens haben die Inka vor rund 1.000 Jahren, als es in der Andenregion bereits eine Klimaveränderung gab, die Agroforstwirtschaft mit Erfolg angewendet – siehe dazu:

Alex Chepstow-Lusty, Mark Winfield, „Inca Agroforestry – Lessons from the past„, 2000
researchgate.net

Zur Person

DI.in Dr.in Noemi Stadler-Kaulich ist studierte Agrarwirtschaftlerin (Internationale Agrarwirtschaft) und promovierte Pädagogin (Internationale und vergleichende Pädagogik). Sie lebt in Bolivien und leitet den Agroforst-Versuchsbetrieb MOLLESNEJTA – Institut für Andine Agroforstwirtschaft, wo sie gemeinsam mit ihrem Sohn und Studierenden aus aller Welt agroforstliche Versuchsparzellen bewirtschaftet. Seit 2010 gibt sie Seminare und Beratungen zum Thema Agroforst in Europa, Lateinamerika und Afrika.
Eine weiterführende Beschreibung von Noemi Stadler-Kaulich findet sich auf der Homepage von MOLLESNEJTA unter:
Dr. Noemi Stadler-Kaulich | Mollesnejta

Foto: © Books on Demand

„Handbuch Agroforstwirtschaft“
Von easy bis dynamisch – Bodenfruchtbarkeit und Klimaschutz
von Dr. Noemi Stadler-Kaulich

ISBN: 978-3-7412-2750-9
Verlag: Books on Demand
Ringbuch, 72 Seiten
Erscheinungsdatum: 16.03.2023

Link zum Buch

Foto: © Oekom-Verlag

„Dynamischer Agroforst“
Fruchtbarer Boden, gesunde Umwelt, reiche Ernte
von Dr. Noemi Stadler-Kaulich

ISBN: 978-3-96238-320-6
Oekom-Verlag
Softcover, 396 Seiten
Erscheinungstermin: 02.09.2021

Link zum Buch mit Vorschau

Was ist Mollesnejta?

Die Mission von MOLLESNEJTA ist es aufzuzeigen, dass eine landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion mit agroforstlichen Methoden nachhaltig erfolgreich sein kann und Antworten auf die Gefährdung unserer Wälder, der Böden und des Klimas gibt. Denn Agroforstwirtschaft funktioniert ohne Brandrodung und synthetische Agrarhilfsmittel wie Pestizide und Kunstdünger.

Das agroforstliche Forschungsinstitut MOLLESNEJTA im Herzen von Bolivien wurde von Dr.in Noemi Stadler-Kaulich gegründet und ist ein global führendes Leuchtturmprojekt. Ein Katalog nachhaltiger Anbaumethoden soll Bauern inspirieren und ihnen ermöglichen unter schwierigsten Bedingungen (trockene, erodierte Böden) erfolgreich Landwirtschaft zu betreiben. Statt Brandrodung, Monokulturen, Pestizide und Kunstdünger sorgen die Bäume für Bodenfruchtbarkeit, liefern Biomasse für Terra Preta, sichern Polykulturen das natürliche Gleichgewicht von Schädlingen und Nützlingen und sind die gesamten Strukturen eine vorbildliche Kreislaufwirtschaft.

Vom wüstenhaften Trockengebiet zu einem florierenden Ökosystem

So konnte ein vormals wüstenhaftes Trockengebiet in den bolivianischen Anden erfolgreich in ein florierendes Ökosystem transformiert werden. Heute stehen hier in fruchtbaren Böden die unterschiedlichsten Baumarten und Nutzpflanzen und machen das Gelände zu einem Habitat für bedrohte Tierarten. MOLLESNEJTA ist anerkannt von TreeDivNet und untersucht als weltweit erstes Forschungsprojekt die Faktoren der Biodiversität in agroforstlichen Konsortien. Zudem ist es offizieller Partner der United Nations für die sustainable development goals 2, 8, 12, 13 und 15.

MOLLESNEJTA liegt im Tal von Cochabamba, Bolivien, auf drei Flächen mit insgesamt 23 Hektar rund 30 km von der Großstadt Cochabamba entfernt in einer Trockenzone mit 500 mm Niederschlag/Jahr (fällt in drei bis vier Monaten) und zwischen 2.600 und 2.800 Meter ü.N.N.

Aufgrund der großen Armut, der Extraktionslandwirtschaft und Politik ohne Rücksicht auf die Umwelt war Bolivien 2022 das Land mit der weltweit dritthöchsten Abholzungsrate. Der Regenwald wird brandgerodet, um neue Anbauflächen zu gewinnen, obwohl nachhaltige Anbaumethoden in der Andenregion zwar historisch bekannt sind, doch heute kaum von Bauern genutzt werden. Siehe Artikel dazu im Guardian.

Besucher/innen und Unterstützer/innen sind herzlich willkommen.

Auf MOLLESNEJTA sind Student/innen, Forscher/innen, Freiwillige und alle, die sich für Agroforstwirtschaft, die Kombination aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft interessieren, sich engagieren wollen und darüber mehr erfahren möchten, herzlich willkommen. Sämtliche Forschungsergebnisse werden veröffentlicht und stehen der Allgemeinheit zur Verfügung.
Link: Research and data collection | Mollesnejta

Das Institut freut sich über jegliche finanzielle Unterstützung, die es ihm ermöglicht den Betrieb und die Forschung aufrecht zu erhalten und noch weitere Projekte zu beginnen, die der Deforestation entgegenwirken. Dafür erhalten die großzügigen Spender/innen den jeweiligen Jahresbrief und dank der Zusammenarbeit mit Let’s Plant eine Zuwendungsbestätigung, damit die Spende vom deutschen Finanzamt anerkannt wird (bei Beträgen bis zu 300€ genügt für das Finanzamt der Kontoauszug, bei größeren Beträgen bitte die Postanschrift angeben). Bei der Überweisung als Verwendungszweck „Mollesnejta“ angeben.

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Vortrag „Dynamischer Agroforst“
 

Mollesnejta – Institut für andine Agroforstwirtschaft

Unser Freiwilligendienst in Mollesnejta

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